Fragst du dich manchmal, woran du erkennen kannst, dass du ein hochsensitiver Mann bist?
Ich habe mich das in den letzten Jahren oft gefragt.
Vielleicht du auch? Gerade jetzt?
Ich nahm schon immer einen Unterschied zu anderen Männern war.
Doch konnte ich meine Andersartigkeit nicht einordnen.
Sehr oft zweifelte ich an mir. Ist es wirklich unmännlich, wenn ich mehr fühle, mehr wahrnehme und mehr Eindrücke verarbeite, als viele meiner Geschlechtsgenossen?
Heute weiß ich, ich verglich mich mit den Falschen.
Ich verglich mich mit sehr archaischen Männern.
Und verdammte dadurch meine sensitive Seite.
Nach einem neuen Selbstverständnis durch die Annahme meiner hochsensitiven Ader, versuche ich heute, mit meinen archaischen und sensitiven Anteilen in Einklang zu leben.
Beide Anteile als vollwertig und gleichberechtigt anzusehen.
Aufgrund der Resonanzen auf meinen letzten Männerbeitrag, bekam ich den Eindruck, dass viele sensible Männer ihre Anlage nicht richtig einordnen können.
Mitunter sogar als unnormal oder unmännlich einstufen.
Aber das brauchst du wirklich nicht!
Auch nicht weiter verwunderlich, da jeglicher Gefühlsausdruck (erst recht von Männern) in unserer Leistungsgesellschaft als unprofessionell angesehen wird.
Als weich, schwach, mimosenhaft.
Auf meiner letzten Arbeitsstelle hörte ich oft den flapsigen Ausspruch:
„Mann oder Memme“?
Von einer Frau!
Verbunden mit einem ironischen Augenzwinkern, aber wie allgemein bekannt, steckt in jeder Ironie ein Fünkchen Wahrheit.
Es herrscht schlicht und ergreifend kein Umfeld für einen sensitiven (Gefühls) Ausdruck in unserer modernen Arbeitswelt. Darunter leiden nicht zuletzt wir sensitiven Männer.
Deshalb möchte ich dir heute 10 Anzeichen mit auf den Weg geben, an denen du erkennen kannst, dass du ein sensitiver Mann bist.
Für ein besseres Verständnis für deine sensitive Ader.
Für mehr Mut. Das du dich immer mehr traust, deine besondere Anlage zu leben und zu zeigen.
Anmerkung: Natürlich gibt es Schnittmengen mit nicht hochsensitiven Männern und Frauen.
Die 10 Hinweise sollen dir als Anregung und Orientierungshilfe dienen.
1. Du kannst gut zuhören
Aufmerksam und bewusst. Du redest nicht dazwischen und lässt dein Gegenüber aussprechen. Egal ob Kollege, Freund oder Partner. Du kannst dich in seine Lage und Bedürfnisse hineinversetzen und hast nicht den ständigen Drang, Ratschläge zu erteilen – sondern einfach nur da zu sein und Aufmerksamkeit zu schenken. In einer Partnerschaft hat sich das Zwiegespräch bewährt.
2. Du bist schüchtern im Kontakt mit Frauen
Kenne ich sehr gut aus eigener Erfahrung der letzten Jahre. Die Angst, bei einem Date etwas Falsches zu sagen. Nicht gut rüberzukommen. Schrecklich. Wie oft hörte ich von anderen Männern oder aus Ratgebern: ” Sei einfach du selbst “. Dieses “ich selbst sein” bereitete mir die größten Sorgen, da ich es jahrelang nicht wusste, was das genau heißt. Heute weiß ich, dass dieses “Ich selbst sein” für mich bedeutet, mit all meinen Persönlichkeitsanteilen in Berührung zu sein.
Dann bin ich echt und brauche mich aus Angst nicht zu verstellen.
3. Du lebst eine einfühlsame und spirituelle Sexualität
Für dich ist Sex mehr als reine Triebbefriedigung. Wobei natürlich auch dies ein Teil deiner Männlichkeit ist. Aber es gibt noch mehr. Wir Männer stehen unter einem ständigen Leistungsdruck. Unserer auf Effizienz und Leistung orientierten Gesellschaft sei Dank. Nicht nur im Beruf, sondern auch im Bett. Das Ziel ist klar: der schnelle Orgasmus. Die sexuelle Energie wandert vom Kopf in die Genitalien und möchte sich dort so schnell wie möglich entladen. Mir ging es jahrelang so. Bis ich vor rund zwei Jahren mit dem hinduistischen Tantra in Berührung kam. Das erste Mal in meinem (männlichen) Leben konnte ich erleben, wie es sich anfühlt, wenn ich nicht aktiv sein muss, sondern mich passiv der Entspannung hingeben kann. Ich kam in eine bis dahin nie dagewesene Tiefenentspannung – und dadurch in eine ganz neue Form von sexueller Energie und Ekstase, die den ganzen Körper durchströmte.
Die beiden tantrischen Lehrer David Deida *und Diana Richardson* (beide lese ich gerade) fassen das in ihren Büchern sehr schön zusammen.
4. Du besitzt eine große Gefühlsintensität und kannst diese ausdrücken
Etwas, was generell alle Hochsensible gemein haben. Aufgrund unserer größeren Anzahl von Neurotransmittern im Gehirn, nehmen wir mehr Details und Reize aus unserer Umgebung war, als der Rest. Was wiederum eine tiefere und längere innere Verarbeitung zu Folge hat. Empathie und Gefühlsausdruck werden ja meist eher den Frauen zugesprochen. Doch auch viele sensitive Männer kennen das. Aufgrund unserer gefühlsvermeidenden Gesellschaft und gewissen Rollenklischees, wird es uns aber schwerer gemacht, diese auszudrücken und zu zeigen. Jahrelang versteckte ich in Gesprächen meine Gefühle und setzte die “Smiley-Maske” auf. Auch heute noch. Doch gelingt es mir immer öfters, meine Verletzlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Das, was ich gerade in mir spüre, achtsam nach aussen zu kommunizieren. In den letzten Monaten so geschehen mit meiner Chefin und meiner Partnerin. Die Reaktionen waren jedesmal überraschend positiv und ganz anders als erwartet (oder befürchtet).
5. Du benötigst mehr Zeit nach einer Trennung
Dies ist wiederum auf die größere Gefühlsintensität zurückzuführen. Ich erinnere mich noch gut an meine schmerzhafte Trennung im letzten Sommer. Ich war am Boden zerschmettert. Konnte tagelang nicht schlafen. Ständiges Grübeln. Keine Perspektive. Kein tröstender Arm. Der Schmerz und die Trauer lagen wie eine tonnenschwere Steinplatte auf meinem Herzen und meinen Gefühlen. Ich suchte nach Antworten im pathologischen Bereich, wie Depressionen oder Co-Abhängigkeit. Doch erst als ich mein erstes Buch über Hochsensitivität in die Finger bekam, konnte ich so einiges besser verstehen. Konnte mich und meine Veranlagung besser verstehen und somit dem Schmerz seinen Raum geben. Zu dieser Anlage gehört es nun mal, dass wir mehr Ruhe- und Erholungszeiten brauchen. Erst Recht nach solchen Lebenseinschnitten wie Trennung, Tod oder Arbeitsplatzverlust. Gönne sie dir.
6. Du hast andere Vorstellungen von Familie und Kindererziehung
Du willst nicht mehr den Ernährer der Familie mimen? Du sprichst mit deiner Frau/Partnerin auf Augenhöhe? Deine Frau geht arbeiten und du kümmerst dich zu Hause um die Kinder und den Haushalt? Nein, du bist kein “Weichei oder Softie”. Du lebst eine moderne und angepasste Vorstellung von Familie und Zusammensein. Unsere Rollenbilder unterliegen dem Wandel der Zeit. Dadurch ändert sich auch unsere Vorstellung von Kindererziehung. Auch wenn diese noch in vielen traditionellen Familien, Kindertagesstätten und Schulen so gelebt wird. Es gibt viel Bewegung in diesem Gesellschaftsbereich. Montessori, Waldorfpädagogik und Andre Stern geben uns neue Impulse und Ansätze an die Hand.
Letzterer ist für mich ein Paradebeispiel eines selbstbewussten, und sensitiven Mannes, der nie eine Schule besucht hat und seine Kindheit aus der spontanen Freude und Begeisterung erleben durfte.
7. Du führst gerne tiefgehende und philosophische Gespräche
Stundenlang könnte ich mich über Philosophie, Psychologie und Spiritualität unterhalten. Ob Nitzsche, C.G. Jung oder Krishnamurti. Aber genauso über die vier Grundgefühle oder emotionale Intelligenz*. Meine Hochsensitivität drückt sich in so vielen Interessengebieten aus.
Kennst du das auch?
8. Du besitzt ein großes Verantwortungs- und Mitgefühl für dich und deine Umwelt
Solange ich zurück denken kann, spüre ich in mir einen enormen Gerechtigkeitssinn. Ich spüre sofort eine Unterdrückung oder Ungerechtigkeit, egal ob unter Freunden oder unter Kollegen. Ebenso versuche ich in Auseinandersetzungen selbstreflektiert hinzuschauen, wo ich eventuell ungerecht oder selbstgerecht war. Seit rund fünf Jahren bezeichne ich mich als “Vollvegetarier” aus ethischen Gründen.
Mittlerweile ernähre ich mich sogar zu 80% vegan. Ich kaufe immer mehr Bio- und Regionalprodukte, trenne sauber meinen Müll und achte sehr bewusst auf meinen Strom- und Wasserverbrauch. Ich frage mich immer wieder: welche Welt möchte ich meinen Enkelkindern überlassen? Auch wenn derzeit die Entwicklung dazu alles andere als rosig aussieht, gebe ich die Hoffnung nicht auf und setze auf einen Bewusstseinswandel und das Mitgefühl eines jeden Einzelnen.
9. Du bist sozial engagiert, künstlerisch tätig oder idealistisch veranlagt
So wie diese fünf berühmten Hochsensiblen? Hast du als Kind vielleicht den Traum gehabt, Dichter, Maler oder Schauspieler zu werden? Und hast dann von deinen Eltern den immer gleichen Satz gehört: “Kind, lerne was anständiges?” Dann geht es dir wie vielen und du hast deinen Traum fallen lassen. Ich habe als Kind und Jugendlicher unzählige Bücher verschlungen, ich war und bin eine sprichwörtliche Leseratte. Und habe erst vor gut sechs Monaten begonnen, meinen alten Kindheitstraum neu aufleben zu lassen, indem ich zu schreiben begann.
Vielleicht engagierst du dich aber auch ehrenamtlich, in der Nachbarschaftshilfe oder der Seniorenbetreuung? Bist Mitglied bei Greenpeace oder Attac oder du fängst gerade in deiner Freizeit an zu malen? Was auch immer: ich möchte dich dazu ermutigen, in deiner Freizeit oder als Beruf(ung) deinem altem Traum oder Ideal zu folgen. Es braucht mehr solcher Menschen!
10. Du besitzt eine gewisse Leichtigkeit und einen ganz eigenen Humor
Du kannst über die weitverbreiteten (flachen) Zotten und Witze nicht lachen? Bei ironischen Bemerkungen stehst du oft auf dem Schlauch? Willkommen im Club. Jahrelang wunderte ich mich, wie Tausende über so flache und Klischee beladene Witze eines Mario Barths oder Atze Schröders lachen können. Was für viele bestimmt vollkommen okay ist. Aber für mich? War mit mir etwas nicht in Ordnung, wenn ich das gar nicht lustig fand? Erst nach und nach fand ich meinen eigenen (hintersinnigen) Humor. Ich brauche ein vertrautes und stimmiges Umfeld, bis ich diesen zeigen und ausleben kann. Im Laufe der Zeit fand ich auch in der medialen Welt meine Comedians und Kabarettisten, die genau meinen Lachnerv trafen, sodass ich herzhaft und befreit los lachen konnte. Tiefgründig, bissig, intellektuell und gesellschaftskritisch. Menschen auf der Bühne und im TV wie ein Hagen Rether, ein Dieter Nuhr oder ein Rainald Grebe.
So möchte ich dazu ermutigen, trotz all der vorhandenen globalen und individuellen Schwierigkeiten deine Leichtigkeit zu behalten und deinem ganz eigenen Humor zu folgen.
Missmutig und schlecht gelaunt geht es bestimmt auch nicht besser.
Und wie heißt es so schön: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Hast du dich als sensitiver Mann in dem einen oder anderen Punkt wiedererkannt?
Woran erkennst du deine Sensitivität als Mann?
Teile es uns in den Kommentaren mit.
Dir hat dieser Artikel gefallen? Er hat dich inspiriert und zum Nachdenken gebracht? Dann lies mein Buch Der sanfte Krieger. Ein Mutgeber für hochsensible Männer. Es wird dich als sensitiver Mann enorm weiterbringen.
Bild: unsplash.com
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Hallo Oliver, na wenn ich diese zehn Punkte als Richtschnurr nehme, dann kann ich mir nun sicher sein, dass ich hochsensibel bin 🙂
Hast Du diese Punkte selbst zusammengetragen oder woher stammen sie?
Hi Michael,
danke für deinen Kommentar. Na dann: Willkommen als sensitiver Mann 😉
Größtenteils wurden sie von mir und meinen eigenen Erfahrungen zusammengetragen.
Habe mich aber auch von diesen 29 geistigen Gesetzen gerne inspirieren lassen, die ebenfalls sehr lesenswert sind (wenn auch nicht speziell an sensitive Männer gerichtet)
Liebe Grüße
Oliver
Pingback: Über Hochsensibilität als Mann und in Partnerschaften - Introvertiert.org
Hallo Oliver,
Wahnsinn, ich habe mich als Mann noch nie so verstanden gefühlt. Als hättest Du von mir geschrieben (bis auf das mit dem Vegan?). Yo, ich werde fleißig weiterlesen und fühl mich beim schreiben gerade wie ein Mädchen. Du siehst, da sind noch alteingesessene Vorstellungen in mir, wie ein Mann zu sein hat. Freue mich auf diese Entdeckungsreise und nochmals herzlichen Dank, dass Du Dein Männerherz so mutig teilst.
Beste Grüße
Steve
Hi Steve,
aber gerne doch 🙂
Ich freue mich immer über solche Rückmeldungen wie deine. Danke dafür!
Darin erkenene ich, dass sich etwas tut im Selbstverständnis bei uns Männer und das ist absolut nur begrüßenswert.
Bleibe weiterhin mutig und zentriert, ich versuchs auch 😉
Viele Grüße
Oliver
Hallo Oliver,
vielen Dank für Deinen Blog.
Er hat mir erst wirklich die Augen geöffnet. Darüber was ich bin und warum ich so bin.
Auch meine Anziehungskraft auf Menschen mit NPS.
Mein Leben lang fühlte ich mich unverstanden, suchte meinen Platz in der Gesellschaft als Mann. Als Mann mit Gefühlen und Empathie. Als Mann mit weicher Schale und weichem Kern.
Keep up the good work!
Liebe Grüße,
Hans
Hallo Hans,
herzlichen Dank für deinen Kommentar! Das freut mich, dass du dich durch meine Arbeit als Mann etwas besser verstehen konntest – insbesondere als Hochsensibler.
Bleibe dir treu und stehe zu deinen Gefühlen und zu deiner Empathie 🙂
Liebe Grüße, Oliver
Hallo Oliver,
erstmal super was du geschrieben hast, ich erkenne mich in fast allem wieder. Ich bin froh das ich den Artikel heute gelesen habe, denn ich Zweifel selber an mir und an meine weiche Seite. Ich habe es noch nie so gesehen das ich als Mann beides in mir trage. Wenn ich mich mit Hochsensibilität beschäftigt habe, habe ich es meistens auch von Frauen gelesen. Ich werde für die Zukunft versuchen beide Seiten in Einklang zu bringen.
Danke für den Beitrag
Nils